Freitag, 18. Dezember 2015

Für wie dumm halten Verlage eigentlich Leser?

Eine provozierende Frage, gewiss! In den branchentypischen Medien wird viel über die Zukunft des (gedruckten) Buches, der Verlage, der Buchhändler geschrieben, es wird bis zum Abwinken debattiert über das Für und Wider von Selfpublishing, über dies und das. "Der" Leser kommt in diesen Diskussionen auch vor, gewiss: Als Konsument, der möglichst oft und viel "Buchcontent" kaufen soll. Dass man bei all dem Optimierungswahn in Bezug auf Äußerlichkeiten, Genrekompatibilität und Bestsellermarketing eine womöglich lohnende Zielgruppe außer Acht lässt, die früher das Fundament vieler Verlage bildete, gerät aus dem Fokus. Aber es gibt tatsächlich nach wie vor Leser, die an ihre Lektüre einen gewissen sprachlichen und inhaltlichen Anspruch stellen, auch wenn es "nur" Unterhaltung ist!


Wer ehrlich sondiert, was selbst alteingesessene Verlage alljährlich an schlecht lektorierter Massenware auf den Markt werfen, sollte langsam von dem hohen Ross derer steigen, die den Untergang des Abendlandes nur in dem Fakt sehen, dass digital affine Autoren heute diese Massenware auch ohne Verlag anbieten (können). Statt mit ihren traditionellen Vorzügen zu punkten (professionelles Lektorat und Korrektorat, Entwicklung von Autoren und Stoffen), outsourcen und verschleudern Verlage diese Alleinstellungsmerkmale, indem sie ihre Lektoren zu Contentmanagern degradieren und vielversprechende junge Autoren, die das Pech haben, zu früh einen Bestseller zu landen, Stoff nach immer dem gleichen Muster abverlangen, statt ihnen die Zeit zu geben, sich zu entwickeln. Und die sogenannten Midlist-Autoren werden erst gar nicht (mehr) ins Kalkül gezogen, wenn es ums Aufstellen von Marketing-Plänen geht. Stattdessen sehen sie sich zunehmend gefordert, selbst aktiv zu werden, um ihre im Verlag teilweise zwangsgemainstreamten Bücher unter die Leute zu bringen.


Wer das nicht glauben mag, dem empfehle ich den Besuch einschlägiger Autorenforen und die Lektüre von Leserrezensionen, deren Verfasser zwar brav den neuesten Band von Autor/in xy gekauft und gelesen haben, aber, sofern sie einen Leseanspruch haben, der über Groschenromanniveau hinaus geht, spätestens bei Fortsetzung Nummer drei des angesagten Autors bemängeln, dass es immer die gleiche Suppe ist, keine Entwicklung stattfindet. Und was diese Leser über die sprachliche Umsetzung des einen oder anderen hochgelobten (Verlags-)Werkes schreiben, sollte professionellen Büchermachern die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ebenso wie der Umstand, dass im Satz (auch!) von Verlagsbüchern selbst einfachste Regeln missachtet werden. (Was, bitte, ist noch mal ein Schusterjunge?)


Und angesichts all dessen wundert man sich in der sogenannten etablierten Buchbranche tatsächlich, dass Autoren zunehmend den Weg in die "Selbstständigkeit" gehen und Mainstreamleser ebenso zunehmend die Angebote der (günstigen) "Außerverlagsprodukte" nutzen, frei nach dem Motto: Wenn schon schlecht gesetzt und lektoriert, dann wenigstens zu meinen Konditionen (Autoren) und möglichst billig (Leser)? Was im Übrigen zumindest im ersten Teil häufig ein Vorurteil ist, weil professionelle Autoren und professionelle Lektoren und ebensolche Layouter inzwischen auch ohne Hilfe von (traditionellen) Verlagen zusammenfinden.


Last not least: Leser, die gern mal was anderes lesen möchten, die neugierig sind auf neue Stoffe und Autoren, die Wert auf Sprache legen, vermögen zwar in der Regel keine Megabestseller zu generieren, aber sie sind eine dankbare Zielgruppe, die ihre "Lieblingsbücher" gerne auch über die Halbwertszeit von drei Monaten weiterempfiehlt und sie auch noch Jahre später zu Weihnachten an Gleichgesinnte verschenkt. Diese Leser zu finden und an die eigene Marke zu binden, wäre doch mal eine lohnende Investition.


Zu diesem Eintrag bin ich inspiriert worden durch den Artikel von Porter Anderson, Die Mauer muss weg, im Buchreport-Blog von heute. Das Ehrlichste, was ich seit Langem zum Thema eBook, Digitalisierung und Verlage gelesen habe! Dem Autor hinzuzufügen wäre noch, dass nicht nur die Mauern zwischen Digital und Print, sondern auch die zwischen "Selfpublishing" und "Verlags-Publishing" eingerissen gehören. Wie Porter Anderson sehe ich das Problem nicht in der Art der Publikation, sondern im gebotenen Content und in der Qualität.
 Link zum Artikel


Und das habe ich im Nachhinein dann auch noch entdeckt - passt wie die berühmte Faust aufs Auge: Wie Selfpublishing die Lektoren-Zunft verändert, Verlage und freie Lektoren – passt das (noch) zusammen? - Link -


4 Kommentare:

  1. Ein wirklich treffender Artikel und rennt bei mir offene Türen ein. Es ist als Leser schon mind. befremdlich, vom Autor zu hören, der Verlag habe diese oder jene Arbeitsweise gefordert - weil bestimmte Themengebiete für den 'gemeinen Leser' nicht von vorrangigem Interesse sei. Daran kaue ich heute noch.

    LG von der Rabin

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  2. Bei mir rennt der auch offene Türen ein. Ganz ganz offene. Ich gebe zu, ich fühle mich davon tief gekränkt und verletzt, dass es mir in zehn Jahren, mit mehr als zwanzig veröffentlichten Romanen, darunter zwei Bestsellern, nicht gelungen ist, einen Verlag dazu zu bringen, mir zu vertrauen. Soweit, dass er mir zuhört, wenn ich sage: Ich habe eine tolle Geschichte im Kopf und im Herzen, die ist mir wichtig, die will von mir erzählt sein - lasst uns das zusammen machen, ich verspreche, ich mache euch das gut. Stattdessen soll ich denselben Eintopf solange aufwärmen, bis mir vom eigenen Schreiben nicht nur die Galle hochkommt (das ist längst passiert). Das Gefühl, als Autor keine Stimme zu haben, lähmt und demotiviert. Ich bin fünfzig. Meine Geschichten haben keine Zeit mehr, auf mich und meine Verleger zu warten. Sie brauchen mich jetzt oder suchen sich einen anderen Autor. Der mehr Mut hat - Mut, zu erzählen, statt verlegt zu werden.

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    1. Liebe Charlie, wenn ich dich unbekannter Weise so nennen darf. Bisher kenne ich dich nur als Leser.
      Du hast sicher mit allem Recht, aber gegen einen Satz muss ich protestieren. "Ich bin fünfzig."
      Und? Ich habe mit 53 meinen ersten Roman veröffentlicht, mit 57 den ersten Vertrag mit einem großen PV unterschrieben.
      Wir sind jung und dynamisch, haben Lebenserfahrung, kennen uns in dieser Welt aus und wissen, was wir wollen.
      Fünfzig ist die neue Dreißig!
      In diesem Sinne, junge Frau, Kopf hoch und Blick nach vorn.
      Ich will noch viele Sachen wie Glencoe lesen.
      Frohes Fest, guten Rutsch und ein erfolgreiches 2016, Mac.

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  3. Liebe Charlie, das klingt sehr traurig und resigniert, aber Deine Geschichten müssen ja nicht mehr auf den Verlag warten - schreib sie für Dich und Deine Leser und veröffentliche sie im Selfpublishing. Klar, das braucht Zeit - aber die Galle bleibt drin ... und wenn Du vom Schreiben leben musst: Dann nimm Deine eigenen Geschichten in der Freizeit in die Hand ... andere gehen joggen oder sehen am Tag zwei Stunden fern. Das Potenzial kann man auch für Geschichten nutzen - und wenn man dann noch ein bisschen mehr investiert und Geduld hat, "springt" sogar noch finanziell dabei was raus.

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