Donnerstag, 28. März 2013

Facebook never ever.

Aus den Annalen des Verlegers, der keiner ist ...

Wochenende, wieder mal.

Ich bin froh, dass das hier keiner liest, aber dafür sind Tagebücher ja da. Und ich gebe zu, dass es mir wirklich gut tut, ab und zu mal über Dinge schriftlich nachzudenken, wenngleich es ein gewisses Risiko birgt, dessen ich mir bewusst bin. Zum einen schreiben Männer keine Tagebücher, und schon gar keine in meiner Position. Das ist was für Frauen, die frustriert zu Hause sitzen und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Sagt mein Chef. Aber das braucht mich nicht zu belasten, denn der glaubt auch, dass er von der Pforte bis zum dritten Stock beliebt ist. Ich habe mit dem Tagebuchschreiben angefangen, als wir PCs bekamen, ist also schon eine Weile her. Das Hämmern auf einer Tastatur sieht immer gut aus. Und wenn man zum Samstags-Arbeiten verdonnert wird, sowieso. Und wenn`s mich daheim überkommt, schick ich mir die Einträge einfach per Mail.

Statt jetzt hier zu hocken, wäre ich viel lieber zu Berti in den Laden gegangen. Ich muss mal ernsthaft mit ihm reden, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass er das nicht hören will. Wenn ich ehrlich bin: Nach meiner ersten Euphorie und zwei Nächten drüber schlafen, bin ich auch ein bisschen skeptisch, ob das so das Wahre ist, was dieser Eddy alias Ad mir da alles ans Ohr erzählt hat.

Aber manchmal lässt man sich schnell begeistern und stellt das Hirn erst hinterher wieder ein. Wenn ich jetzt so überlege: Eigentlich war der Typ ja schon ein bisschen, nun: schmierig ist nicht der richtige Ausdruck, glattgebürstet, trifft`s vielleicht eher. Mag ich eigentlich nicht so, und wenn ich nicht wegen Bertis Bücherchaos schon drei Bier zu viel gehabt und ziemlich down gewesen wäre, hätte ich mich womöglich gar nicht auf den Typen eingelassen. Aber dann habe ich dem sogar von Bertis Buchladen erzählt und von meiner Idee mit dem Thoni-Verlag. Da hat der ein richtiges Glitzern in die Augen bekommen: Das sei ja genial! Und ob ich denn schon ein mediales Werbekonzept hätte? Und dass er Profi auf dem Gebiet sei und mir helfen könne. Und dann kam auch noch dieser komische Reporter Lustlos - Rastlos? Ratlos! Und dieser Ad hat die Frechheit besessen, sich als Marketingleiter meines Verlags zu generieren. Wobei ich sagen muss: Er hat das gut rübergebracht, und das Gesicht von diesem Rastlos, ähm, Ratlos, das war schon klasse!
Na ja, ich hab mich überreden lassen, und eigentlich: Es kann ja nicht viel schiefgehen. Und kosten tut`s auch nichts. Ad ist also jetzt Leiter der nichtexistenten Marketingabteilung im Thoni-Verlag, der keine Bücher verlegt. Das hat was!

Gestern haben wir uns zum zweiten Mal bei Willi getroffen, und Ad hat mich zugelabert mit seinem multimedialen Konzept, und dass ich unbedingt ins Social Web einsteigen müsse. Oder so ähnlich. Du kennst doch bestimmt Facebook, Kumpel?
Also, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich mit dem Thoni-Verlag bei Facebook soll. Was ich überhaupt da soll! Ich geb`s zu: Ich habe vor einiger Zeit mal versucht, bei Facebook einen Account zu eröffnen, weil alle meinen, ohne das ginge es nicht mehr. Aber ich kann ja nicht mit meinem richtigen Namen rein - wegen meiner Tätigkeit hier. Neugierig war ich allerdings schon. Also habe ich mich von unserer Kundenkartei inspirieren lassen und dazu ein frühes Foto von meiner Oma hochgeladen. Und dann ist man zwar „drin“, steht aber erst mal in einem virtuellen leeren Raum und ist versucht zu rufen: He, wo sind die Millionen? Freunde soll man einladen - wie denn? Mein Freund Berti ist ganz bestimmt nicht bei Facebook! Dann habe ich spaßeshalber den Namen von dem Depp aus der zweiten Etage eingegeben, der den ganzen Tag nur blödes Zeug erzählt und die Kollegen vom Arbeiten abhält, und was sehe ich da: 3578 Freunde, 197 Fotos, 285 Pinnwandeinträge, 27 Gruppen.

Wenn ich überlege, wie lange es gedauert hat, bis Berti und ich das waren: FREUNDE. Und der Simpel da unten hat 3578 davon? Das würde ja fast zehn Jahre dauern, bis er mit jedem von denen mal ein Bier getrunken hat - die Wochenenden mit eingerechnet! Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber als zweites habe ich den Namen meiner Oma ins Suchfeld gesetzt. Mich hat`s fast vom Hocker gehauen: MEINE OMA IST BEI FACEBOOK! Und auch noch mit dem gleichen Bild! In diesem Moment wusste ich, dass es angeraten war, mich virtuell schnellstens aus dem Staub zu machen. Facebook? Never ever!
Und das hab ich dem Ad auch gesagt. Und was macht der? Was er am liebsten macht: GRINST. Lass mal, Kumpel. Kümmere du dich ums operative Geschäft. Ich kümmere mich ums Marketing. WELCHES OPERATIVE GESCHÄFT?
Ich bin mir wirklich nicht mehr sicher, ob das mit Ad so eine gute Idee war. Und Berti weiß auch noch nichts davon.

(c) Thoni Verlag

Sonntag, 24. März 2013

Der saugemütliche Ohrensessel, oder: Noch einen Whisky?

Aus dem Tagebuch des Verlegers. Wochenende. Irgendwann ...

 
Also, die Sache mit Berti macht mir zu schaffen. Und ich bin froh, dass ich das hier mal loswerden kann. Ist ja nicht so einfach, mit den Gefühlen. Vor allem als Mann. Aber wie der da so gehockt hat gestern in diesem rosavioletten Bücherberg, das hat mich echt getroffen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht gern lesen würde, aber Berti, für den sind Bücher das Leben. Ich glaube, der hatte schon ein Buch in der Hand, als er auf die Welt kam.
Ich war zehn Jahre alt, als ich das erste Mal in seinen Buchladen ging, weil wir so ein Reclam-Heftchen für die Schule brauchten. Irgendwas Dröges, in Klassenstärke. Und diesmal machst du das, sagte die Lehrerin. Und dann bin ich mit dem Zettel und dem Geld hin, und als ich die Ladentür aufmachte, klingelte ein Glöckchen und hinter einem hölzernen Tresen stand ein uralter Mann, also auf jeden Fall weit über Zwanzig, der lächelnd den Zettel nahm und irgendwas von der wunderbaren Welt der Literatur faselte. Ob ich gern läse und was und wie oft, und ob er mir mal ein paar schöne Bücher zeigen soll.
BÜCHER? Ich wollte raus, Fußball spielen!! Während er umständlich ein Bestellformular ausfüllte, rechnete ich mir aus, dass ich im unendlich fernen Jahr 1995 Dreißig wäre, ein grauenhafter Gedanke. Ich gebe zu, ich wollte ihn auch ein bisschen ärgern und freute mich auf sein Gesicht, als ich auf seine Frage nach meinem Lieblingsschriftsteller: Perry Rhodan sagte.
Und was geschieht? Der guckt, grinst, greift unter den Ladentisch und zieht den neuesten Band heraus. Nun ja, spannende Geschichten findet man überall. Aber bist du nicht noch etwas jung dafür? Ich schüttelte den Kopf, er schenkte mir das Heft. Daheim riss es mir mein großer Bruder förmlich aus der Hand, der Perry Rhodan verschlang wie ich frische Butterbrezeln. Und ich war fünf Minuten lang ein Held.
 
Also. Gestern.
Berti ist kein Mensch, der unflätige Wörter benutzt. Na ja, er liest eben viel und hat eine große Auswahl an Formulierungen, mit denen er seinem Ärger elegant Luft machen kann. Aber gestern hab ich ihn wirklich kaum wiedererkannt. Er hatte eine dicke Beule am Kopf und rote Flecken im Gesicht. Und saß auf dem Boden, um sich herum ein wüstes Durcheinander aus geschätzten drei Dutzend in rosalila Schutzumschläge gehüllte dickleibige Bücher.
 
„Dieser vermaledeite Mist!“, begrüßte er mich.
 
Ich quetschte mich zwischen einem kippeligen Büchertisch und einem deckenhohen Regal hindurch und half ihm aufstehen. Berti wohnt direkt über der Buchhandlung, und als Kind habe ich mir immer vorgestellt, dass die vollgestopften Bücherregale durch die Decke direkt in sein Wohnzimmer gingen, und dann weiter bis über die Decke in die Wohnung obendrüber, in der lange Jahre Fräulein Else wohnte, die auch eine Brille und viele Bücher hatte.
 
„Ich krieg die Krätze von dem Zeug!“
 
Spätestens jetzt wusste ich, dass ich mir langsam Sorgen machen musste um meinen kultivierten Freund, der niemals mehr als ein gepflegtes Bier am Abend trinkt. Oder alternativ einen guten Whisky oder Wein. Mit Betonung auf ODER. Ich habe zwar auch den guten Vorsatz, bin aber zugegebenermaßen nicht so konsequent. Ein Grund, warum ich Berti als Freund so schätze. Er hilft mir, solide zu bleiben.
 
Aber jetzt ist er ziemlich derangiert und ich rieche, dass seine Vorsätze heute den Fight verloren haben. Und das ist wirklich das allererste Mal, seit ich ihn kenne. „Wein?“, frage ich.
 
„Whisky!", sagt er. "Lagavulin Distillers Edition. 1991er Abfüllung.“
 
Die Lage ist noch ernster, als ich dachte. Ich hebe eins der Bücher auf. Geschwungene hellrosa Schrift auf dunkellila Grund. Zwei Schaukelstühle vor glutrotlilafarbenem Sonnenuntergang. Leer. Nein, nicht ganz. Aus dem rechten hängt eine gepflegte weiße Hand heraus. Annabelle Chanson. Die wilden Leidenschaften der Emilie A.
„Nun ja, wenn ich das lesen würde, bräuchte ich wohl auch mehr als ein Schlückchen zum Nachspülen", versuche ich, Berti aufzumuntern.
 
„LESEN?“, brüllt mein sonst so freundlicher Freund. „DAS? ICH? Wofür hältst du mich?“
 
Er hält sich an dem kippeligen Tisch fest. Mein Blick fällt auf einen weiteren Bücherstapel. Paperback. Ein blitzendes Messer, lauter Blut auf unschuldigem Umschlagweiß. Ich kriege einen Schreck, aber dann sehe ich: Die Spritzer sind auf jedem Buch, überall an der gleichen Stelle. Von Berti kann das also nicht sein.
A.C. Dacon. Der Tod im Flur.
Der siebte Fall für Kommissarin Kitty.
 
„Erfolgreiche Dame, was?“, sage ich, merke aber gleich, dass der arme Berti heute für Humor nicht zu haben ist.
 
„Der Tod im Keller. Der Tod auf dem Dachboden. Der Tod in der Küche!“, schnaubt er. Was kommt wohl als nächstes? Der Tod im Klo?“
 
Ich habe Bedenken, dass der Tisch das noch lange aushält und führe Berti zum Tresen. Darauf stapelt sich ein weiterer Bücherhaufen. Daneben steht ein Ohrensessel. Zerschlissen, aber saugemütlich. Hab ich schon als Kind gern drin gesessen. Berti lässt sich reinplumpsen und betrachtet mich müde aus roten Augen.
 
„Nach meinem Selbstverständnis ist es die vornehmste Aufgabe eines Buchhändlers, seine Kunden professionell zu beraten. Deshalb habe ich von jeher größten Wert darauf gelegt, die Bücher zu lesen, die ich verkaufe.“
 
Die Sprache stimmt wieder. Die Aussprache nicht. Ich deute in Richtung des rosarotlila Haufens. „Mensch, Berti. Da hat doch wirklich jeder Verständnis dafür, dass du bei den vielen Büchern heutzutage nicht mehr die Zeit hast, alles vorher zu lesen.“
 
„Zeit hab ich den ganzen Tag.“
 
„Hm“, sage ich. „Vielleicht reicht es ja auch, den Tod im Keller zu lesen, um zu wissen, was Kitty ein halbes Jahr später in der Küche ermittelt?“
 
„Geschenkt“, sagt er und fährt sich über die Augen.
 
„Warum hast du mit dem Lagavulin nicht gewartet, bis ich komme?“
 
„Es war eine Kundin da.“
 
Das soll vorkommen, denke ich bei mir, wenn man einen Buchladen hat. „Ja, und? Hat sie etwa kein Buch gekauft?“

„Doch! Sogar zwei!“ Er wischt sich wieder über die Augen. „Die wilden Leidenschaften, einmal als Geschenk verpackt. Und weißt du, was sie gesagt hat, beim Gehen? Also, wirklich: Diese Annabelle-Chanson-Romane werden immer einfältiger! Den vorletzten Band fand ich so lala, aber beim letzten, das war wirklich unterste Schublade! Für wie doof hält die uns Leser eigentlich? Aber man will ja nicht so sein. Eine Chance gebe ich ihr noch. Und meine Freundin, die Lisa, die hat morgen Geburtstag und ist ein absoluter Fan. Die wird sich bestimmt freuen.“
 
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass der Bücherstapel womöglich nicht von selbst umgefallen ist. „Hast du noch einen Whisky übrig?“
 

Samstag, 23. März 2013

Was für ein raffinierter Hund!

Neues vom Verleger

Freitags, irgendwann ...

Also, was Ad angeht, kriege ich langsam ein flaumiges Gefühl in der Magengegend. Der hat einfach ein Interview mit mir erfunden und es dem NNB untergejubelt. Mit Bild! Erzählt der mir so nebenbei beim Bier! Ich finde, das geht eindeutig zu weit! Und das wollte ich ihm gestern gerade sagen, als Berti hereinkam. Ich habe gleich gemerkt, mit den beiden, das wird nichts. Wer leider absolut gar nichts gemerkt hat, war Ad.
Er haut Berti auf die Schulter und greint: „Lass mich raten: Du bist der Berti mit dem Buchladen?“
Und Berti? Streckt Ad die Rechte hin: „Guten Abend, der Herr. Buchmann, mein Name.“
Zum Glück ist Ad schmerzfrei. Der grinst noch mehr, nimmt die Hand und schüttelt sie, dass Bertis Brille wackelt. „Freut mich, Herr Buchmann. Eduard Weber, mein Name. Sie dürfen aber gern Ad und Du sagen.“
Berti nickt, sagt überaus freundlich: „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Weber“, und schaut dann mich an wie der Feldwebel den Soldaten, der vom Desertieren heimkommt. Mir ist das alles sowas von peinlich.
 
Da hilft nicht mal, dass Willi kommt und Berti das Bier hinstellt: „Guten Abend, Herr Buchmann. Drei Minuten. Extra für Sie.“
„Und ich?“, frage ich.
„Dauert noch vier Minuten“, sagt Willi und verschwindet wieder hinter seiner Theke.
„Für mich bitte auch noch eins!“, ruft Ad ihm hinterher. Ich habe längst den Verdacht, dass der in Wahrheit gar kein Bier trinkt. Das macht er nur, um mir zu imponieren. Damit ich ihn nicht rauswerfe, den selbsternannten Pressechef und Marketingleiter.
Ich versuche, mit Berti ein Gespräch anzufangen, aber ich merke, dass er heute Abend nicht recht reden will. Und dann ärgere ich mich doch etwas über ihn: Für wen hab ich diese Chose denn in die Welt gebracht? Ich opfere ganze Tage, mach mir einen Kopf und sonst was, um ihm zu helfen, und er? Spielt die beleidigte Leberwurst!
 
„Also, ich hätte da eine Idee“, sagt Ad zu ihm. Und fängt an, ihn zuzuquasseln mit Vorschlägen, wie man den Buchladen on the Top bringen könnte, und ob Berti schon daran gedacht habe, bei Facebook einen Account zu eröffnen? Eine moderne Buchhandlung müsse heutzutage schließlich online sein!
Berti guckt ihn an. Lächelt. Und sagt überaus freundlich: „Ich habe keine moderne Buchhandlung.“
Und Ad? Der sagt tatsächlich: NICHTS.
Dafür bewundere ich Berti: Der kann so freundlich sein, dass die Blumen aufblühen, und gleichzeitig seinem Gegenüber mitteilen, dass es an der Zeit ist, schnellstens den Zug zu wechseln.
Ich habe mich schon oft gefragt, warum das so ist. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es eigentlich niemanden außer mir gibt, der sich traut, Berti Berti zu nennen. Sogar Willi sagt Herr Buchmann. An der Kleidung kann es nicht liegen. Wer genauer hinschaut, sieht schon, dass Bertis Anzug nicht mehr so ganz der Mode folgt. Und besonders imposant sieht Berti auch nicht aus. Eher unscheinbar, wenn ich ehrlich bin. Und trotzdem kriegt er es irgendwie hin, dass jeder ihn respektiert, sobald er nur den Raum betritt. Noch bevor er irgendwas sagt. Na ja, Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber selbst bei Leuten wie Ad reicht zumeist ein Satz. Es muss etwas mit der Art zu tun haben, wie Berti steht und geht, und vor allem: wie er einen anschaut. Ich hatte damals auch Mordsrespekt vor ihm, als ich die Bücher für meine Klassenkameraden bestellt habe. Ohne Perry Rhodan wären wir wohl niemals Freunde geworden.
 
Aber das tolle Gefühl, von meinem Bruder ernstgenommen zu werden, der sonst nichts Besseres zu tun hatte, als mich bei jeder Gelegenheit zu piesacken, das wollte ich öfter haben. Und nur deshalb bin ich regelmäßig in die Buchhandlung gegangen, zu diesem ernstschauenden Menschen mit der runden Brille auf der Nase, der so kluge Sachen sagte und gleichzeitig unter dem Ladentisch die neuesten Perry-Rhodans versteckte. Und irgendwann hat er dann ganz ernstfreundlich zu mir gesagt: „Es ist schon erstaunlich, dass eine Lektüre zwei Menschen zusammenbringt, die keiner von beiden je gelesen hat, nicht wahr?“
 
Das hat mir noch mehr imponiert als die Bewunderung meines Bruders. Und dann hat Berti mir ein Buch geschenkt. Irgendwas mit Fragezeichen. Und weil ich mich nicht blamieren wollte, hab ich`s halt gelesen. Und fand es sogar ganz gut. Aber er hat mich gar nicht gefragt, ob es mir gefallen hat. Er hat gefragt, was ich, wenn ich das Buch geschrieben hätte, anders gemacht hätte. Erst viel später ist mir aufgegangen, was für ein raffinierter Hund Berti ist! Doch da hatte er mich längst geködert mit seinen Lektürevorschlägen, und irgendwann hat er gemeint: „Ich finde, Herr Buchmann hört sich an wie in der Schule. Aber ich möchte nicht dein Lehrer sein. Und damit auch gar nicht erst der Verdacht aufkommt, sagst du am besten ab sofort Berti zu mir.“
 
Ganz ehrlich: Ich war stolz wie Bolle! Trotzdem hat es Wochen gedauert, bis ich das wirklich ohne Stolpern über die Lippen bekommen habe: Berti zu sagen zu einem so gescheiten Mann, der eine runde Brille und einen ganzen Buchladen hatte. Und der …
 
(c) Thoni Verlag, Fortsetzung folgt ...

Freitag, 22. März 2013

Der Schmierfink da drüben

Neues vom Verleger:
Kneipengespräche bei Willi um die Ecke, Donnerstagabend, irgendwann

DerVERLEGER (ruft quer durch den Raum): Willi! Bringst du mir noch ein Bier?

Willi (ruft zurück): Das ist schon das vierte!

DerVERLEGER: Ist mir egal!

Eddy Weber (sitzt am Tresen): Mir auch eins, bitte.

(Willi zapft gemächlich zwei Bier. Sieben Minuten später. Stellt Eddy das Bier hin, bringt dem VERLEGER das zweite.)

Willi: Wo hast du denn deinen Herrn Buchmann gelassen?

DerVERLEGER: Der hat schon genug für heute.

Willi: Hm.

DerVERLEGER: Tja.

Willi: Jo, also, dann. (Verschwindet wieder hinter dem Tresen.)

Eddy: Ist dem die Frau weggerannt?

Willi: Nö.

Eddy: Sondern?

Willi: Hat einen Verlag gegründet.

Eddy (interessiert): Ach, tatsächlich?

Willi: Hm.

Eddy: Und jetzt läuft`s nicht, oder was?

Willi: Hm.

Eddy: Hat er schon einen Leiter für die Marketingabteilung?

Willi: Häh?

Eddy: Ich frag ihn am besten selbst. (Nimmt sein Bier und geht zum Tisch des VERLEGERS.) He, Kumpel! Darf ich mich zu dir setzen?

DerVERLEGER: Kennen wir uns?

Eddy: Noch nicht. Aber du wirst es nicht bereuen, ich versprech`s. (Setzt sich und trinkt einen Schluck.) So ein frisch Gezapftes hat was.

DerVERLEGER: Sie trinken nicht oft Bier, was?

Eddy: Warum?

DerVERLEGER: Mein Freund und ich versuchen seit Jahren, Willi zu überzeugen, dass drei Minuten fürs Zapfen reichen.

Eddy (streckt ihm die Hand hin): Eddy.

DerVERLEGER: Hm.

Eddy: Kannst auch Ad sagen. Das sagen alle. (Macht eine kleine Pause, nippt am Bier. Grinst.) Ich habe gehört, dass du einen Verlag gegründet hast und wollte dir einen Deal vorschlagen. Ich bin nämlich Marketingexperte. Und hab gerade zufällig ein bisschen Luft für neue Aufträge.

DerVERLEGER: Ich glaube, ich hab da keinen Bedarf für.

Eddy: Die meisten Unternehmen gehen nicht kaputt, weil sie schlechte Produkte anbieten, sondern weil die Inhaber keine Ahnung haben, wie sie sich richtig vermarkten! Glauben Sie`s mir: Wer den Leuten was verkaufen will, muss ein vernünftiges Marketingkonzept haben!

DerVERLEGER: Ich will nichts verkaufen.

Eddy: Ein Verlag druckt Bücher, oder? Und die sollen …

DerVERLEGER (trinkt einen großen Schluck): Der Name ist Konzept genug, find ich. Thoni - der Verlag ohne Bücher.

Eddy (stutzt einen Moment, lacht): Super, das! Ein Verlag ohne Bücher! Wer hat sowas schon gehört! Das ist …

DerVERLEGER: Eine ziemlich spinnerte Idee, ich weiß. Ich wollte auch eigentlich nur meinem Freund Berti helfen. Der ist Buchhändler und muss immer stapelweise Bücher verkaufen, die er nicht mag. Und, noch schlimmer: ständig die Stapel umräumen, weil Neues kommt oder das Alte nicht mehr gefragt ist. Wobei alt so ungefähr zwei bis vier Wochen umfasst. Und wenn ich ihn fragte, ob er mitkommt ein Bier trinken, (trinkt bei der Gelegenheit sein Glas leer), hat er immer Ausreden gehabt. Von wegen viel Arbeit und so. Na ja, hab ich gedacht, wenn er privat nicht will, mach ich es eben geschäftlich. Dann kann er nicht Nein sagen. Wenn der Verlagsinhaber sogar selbst kommt und das Programm vorstellt. Außerdem wollte ich ihn mal wieder lachen sehen.

Eddy (bekommt langsam glühende Wangen): Das ist genial! Sowas habe ich noch nie gehört! DAS kann man vermarkten, bis die Bude qualmt! Ich sag`s dir, Kumpel!

DerVERLEGER: Aber ich will doch gar nichts verkaufen!

Eddy: Sag mal, bist du so dumm oder tust du nur so? Klar willst du was verkaufen! Deine Idee! Die Idee, die hinter dieser Verlagsgründung steckt! Und sag mir nun nicht, dass da nicht noch was anderes dahinter ist.

DerVERLEGER: Willi! Noch ein Bier!

Eddy: Na, komm, sag schon!

DerVERLEGER: Mein Briefkasten quillt über vor Manuskripten.

Eddy: Das ist prima!

DerVERLEGER: Das ist Mist! Die Klappe ist schon kaputt gegangen von all dem Zeug, und das Zurückschicken kostet pro Tag mehr Porto als die Anmeldung des Verlags beim Gewerbeamt.


Eddy: Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass du Manuskripte zurückschickst?

DerVERLEGER: Warum? Was ist falsch daran?

Eddy (schüttelt den Kopf): Ich sag dir jetzt mal was: Du brauchst dringend einen Marketingschef, einer, der dir sagt, wie du deine geniale Idee unter die Leute bringst, und zwar so, dass das monetär vertretbar ist.

DerVERLEGER: Monetär vertretbar …

(Die Tür geht auf, Reporter Rudi Ratlos vom NNB kommt herein. Schaut sich um. Sieht den VERLEGER, überlegt kurz und kommt zum Tisch.)

Rudi: Guten Abend. Schön, dass ich Sie treffe. Ich müsste dringend einen neuen Termin mit Ihnen ausmachen.

DerVERLEGER: So. Und warum?

Rudi: Ähm, ja. Vielleicht sollten wir es doch noch mal mit einem Interview versuchen?

DerVERLEGER: Das letzte war nicht besonders erfolgreich.

Rudi: Wann hätten Sie Zeit?

DerVERLEGER: Also, eigentlich … gar nicht.

Eddy: Natürlich hat er Zeit. Haben Sie ein Kärtchen? Ich rufe Sie an.

DerVERLEGER und Rudi (gleichzeitig): Wie bitte?

Eddy (grinst und streckt Rudi die Hand hin): Eduard Weber. Thoni-Verlag. Marketingabteilung. Also?

Rudi (zückt beeindruckt seine Visitenkarte und händigt sie aus): Könnten Sie mir sagen, wann …

Eddy: Ich rufe Sie an, ja? Ach, und keine Sorge: Sie kriegen ein Exklusiv-Interview.

Rudi: Sicher?

Eddy: Sicher.

(Rudi geht zufrieden zur Theke und bestellt ein Bier. Eddy neigt sich zum VERLEGER.)

Eddy: Siehst du, so flunzt das!

DerVERLEGER: Warum hast du mich nicht ausreden lassen. Jetzt musst du telefonieren wegen des Termins. Dabei hätten wir es doch gleich jetzt abmachen können.

Eddy: Ts! Kumpel, du brauchst wirklich dringend einen Marketingexperten. Bist du morgen Abend wieder hier?

DerVERLEGER: Wahrscheinlich.

Eddy: Gut. Dann bis morgen. Bis dahin hab ich auch ein Grobkonzept.

DerVERLEGER: Also, ich bin der Meinung …

Eddy (grinst): Keine Sorge! Ich mach das ganz umsonst. Wenn der Laden erst brummt, können wir gern über eine vernünftige Honorierung reden. Und weißt du was, Kumpel? Ich bin tausendprozent sicher, dass der Laden brummen wird! Und jetzt gehen wir beide schön nach Hause.

(DerVERLEGER will protestieren. Eddy deutet in Richtung Theke.)

Eddy: Der Schmierfink da drüben wartet doch nur, bis ich weg bin. Dann wird er versuchen, dir die Infos für lau rauszusaugen. Aber so läuft das nicht!

(Willi kommt mit dem Bier).

Eddy: Alles auf meine Rechnung. (Deutet auf das Bier.) Und das bringst du dem Herrn Journalisten. Mit besten Grüßen vom VERLEGER.

(c) Thoni Verlag

Samstag, 16. März 2013

Messegespräche (2). Wir alten Deppen!

Seit Jahr und Tag gehört es zu Bertis und meinen Gewohnheiten, am Samstag über die Buchmesse zu bummeln. Mindestens drei Bier-Abende bereiten wir uns auf diesen Tag vor, denn es gibt jede Menge zu erzählen, will heißen: Berti erklärt mir, welche Bücher wir uns anschauen sollten, welche Verlage wir besuchen müssten, und ich höre zu und freue mich, Berti glücklich zu sehen. Auch dieses Jahr war das nicht anders, wir waren gespannt auf das, was es zu entdecken gäbe, auf das Unverhoffte, Zufällige, und am Freitagabend gestand ich, dass ich einen Teil des Tages schon verplant und mit einem angehenden Autor einen Termin abgemacht hätte. Berti war erstaunt, aber neugierig. Das war ich allerdings auch.
 
Ein Höhepunkt, das stand fest, würde wie in den vergangenen Jahren der Besuch der Antiquariatsmesse sein, jener exklusive Bereich, in dem die alten Bücher Geschichten und Geschichte erzählen, eindringlich unaufdringlich. Sie flüstern hinter Glas und aus Holzregalen, und obwohl es ja nicht möglich ist, meine ich ihren Atem zu riechen, diese sentimental machende Mischung aus Muff und vergilbtem Papier, die einem entgegenströmt, wenn man ein sehr altes Buch aufschlägt. Es war, als legte jemand einen Schalter um, und plötzlich ist man in einer anderen Zeit gelandet, so ähnlich, wie es mir immer geht, wenn ich, was leider nur noch selten vorkommt, dieses unnachahmliche Potpourri aus Leder, Kleber und Schuhcreme rieche, das mich an den alten Schuster erinnert, der früher hier im Viertel seine Werkstatt hatte, mit all diesen geheimnisvollen Werkzeugen darin und deckenhohen Regalen voller verstaubter Treter, die aussahen, als stünden sie schon Jahrzehnte dort. Aber dieses Jahr war alles anders.

Die erste Enttäuschung bereitete uns Herr Hundekötter. Man soll ja keine Vorurteile haben, aber er sah nicht nur genau so aus, wie man sich einen Menschen mit diesem Namen vorstellt, der zu allem Unglück auch noch Versicherungsvertreter ist, wie er uns wortreich erklärte, sondern er redete auch so. Zum Glück hatte er wenigstens genügend Anstand, uns keine seiner vorzugsweise vertriebenen Policen gegen Erdbeben und Glasbruch aufzuschwätzen.

Ich hatte gedacht, wir tränken irgendwo gemütlich einen Kaffee, gingen dann vielleicht zusammen zu einer Lesung. Aber Zuhören war nicht Herrn Hundekötters Thema. Ein Buchhändler und ein Verleger! Ich hatte das Gefühl, der glaubte, mit uns im Lotto gewonnen zu haben. Er hörte nicht auf zu berichten und zu klagen, über seinen wunderbaren Roman, über sein aufopferungsvolles jahrelanges Schreiben und sein verzweifeltes Bemühen, als Autor Fuß zu fassen, über all die ignoranten Verlage, die sein Talent und sein epochales Werk verkannten, und die nicht minder ignoranten Buchhändler, die sich weigerten, sein Erstlingswerk ins Regal zu stellen, ein schmaler, lieblos editierter Gedichtband, den er stolz aus seiner Aktentasche zog, bei dem – ein Anlesen genügte – der Inhalt der Aufmachung entsprach. Begeistert sei sein Verlag gewesen, nachgerade hingerissen von dieser sprachlichen Urgewalt! Und immer noch werde das Werk neu aufgelegt, obwohl es schon Jahre alt sei. Und das auch noch zum Schnäppchenpreis! Leider, leider, sei es ihm nicht möglich, seinen großen Roman ebenfalls in diesem wunderbaren Verlag zu verlegen, weil es finanziell für ihn nicht leistbar sei. Ich wagte den Einwand, dass es nach meiner Auffassung Aufgabe eines Verlegers sei, Bücher nicht nur zu publizieren, sondern auch zu finanzieren. Herr Hundekötter widersprach vehement, und außerdem: Behauptete ich nicht auch, Verleger zu sein? Dabei hätte ich nicht mal ein einziges Buch im Programm, aber er könne sich eine Zusammenarbeit wirklich wunderbar vorstellen und käme mir auch gern mit dem Preis entgegen. Ich sah ein, dass es besser war, das Thema zu beenden.

Und Berti? Machte gute Miene zum geschwätzigen Spiel, nippte an seinem Kaffee, nickte ab und zu und sagte hm. Nach zwei Milchkaffee, einem Espresso und einer guten Stunde Vortrag über die Saga derer von Hundekötter, angefangen im Mittelalter bis kurz vor der Jahrtausendwende, verlor er dann doch ein bisschen die Geduld. Er schaute Herrn H. mit dem typischen Berti-Blick an und fragte freundlich: „Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?“ Kurze Pause. Nicken. „Wann haben Sie zuletzt ein Buch gelesen, Herr Hundekötter?“

Ich erwartete eine ausschweifende Rechtfertigung, aber Berti schaffte es mal wieder: Der Herr Autor setzte an, etwas zu sagen, überlegte es sich anders, grummelte irgendwas von keine Zeit mehr, und wichtige Termine, trank den kalten Kaffee aus, nahm sein Manuskriptpaket, und weg war er.
„Du hättest die Frage eine Stunde früher stellen sollen“, sagte ich.
Berti lächelte. „Ich glaube, früher hätte sie nicht gewirkt.“

Froh, nicht mehr reden zu müssen, schlenderten wir durch die Hallen, vorbei an blutigem Gemetzel und zähnefletschenden Vampiren, wir passierten Galerien historischer Frauenporträts ohne Porträt und Sonnenuntergänge mit Wegen und Wasser und Wehmut von Down Under bis Cornwall; es gab jede Menge kitschiges Alpenaccessoire und Dorfambiente neben nicht minder häufigem grusligem Grausen; und drei Gänge weiter die Histo-Schmonzetten, eine ganze Wand in Rosa-Lila.

Waren die Bücher im vergangenen Jahr auch so aufdringlich bunt? So austauschbar in Titel und Texten? Alles um uns herum schien zu schreien: Verstörend! Berührend! Hochspannend! Tiefgründig! Der absolute Lesegenuss! Der super Thriller! Ich stellte mir vor, dass am Abend vor der Messe-Eröffnung eine ganze Kompanie Werbefuzzis Dutzende Wägelchen mit Slogans und Säcken voller Ausrufezeichen beladen hatten, durch alle Hallen gezogen waren und den Inhalt ziel- und planlos auf Wände, Plakate und Ankündigungstafeln geworfen hatten. Und zwischen all diesem Wörter-Gewusel gab es Kochbuchköche, die ihre Leser live becookten, und spirituelle Teebuchautoren zeremonierten spirituelle Tee-Zeremonien, und wir querten Super-Locations und Mega-Events und ein Zentrum für Story Drive und Cross-Media und Hot-Spots und, ach, Content fanden wir auch, verschämterweise nur auf Englisch.

Aber hatte es all das im vergangenen Jahr nicht auch schon irgendwie gegeben? Warum fiel es uns ausgerechnet dieses Mal so übel auf? Weil die Bücher nicht mehr nur mit Farben brüllten, sondern auch noch anfingen zu flattern, zu flimmern und zu knattern? Books and Games, Brot und Spiele. Digital ist überall.
Und Berti guckt mich mit der strengen Variante seines Buchhändlerblickes an und sagt: „Es gibt gute und schlechte Bücher, und es gibt Druckwerke, die wie Bücher aussehen. Letztere sollte man nicht dadurch adeln, dass man über sie spricht.“

Wir verließen den Marktplatz der Schreier, folgten weniger frequentierten Gängen, studierten Bücher von Verlagen, an deren Stand nicht mal Platz für einen Tisch mit Kaffeetassen und Keksen blieb. Wir trafen Bücherleute, weniger als im vergangenen Jahr, ein kleiner Verlag, zu dem Berti unbedingt wollte, hatte kurzfristig abgesagt, die Koje war leer. Ein trostloser Anblick. Berti blieb irgendwann stehen, schaute sich um, breitete die Arme aus, und sagte: „Gibt es ein besseres Argument für die Abschaffung des Gedruckten als das hier?“
Zwei Damen lächelten und nickten, und wir lachten los und ernteten empörte Blicke. Zurecht. Wir alten Deppen! Und dann gingen wir zu den alten Büchern, und es war himmlisch.

(c) Thoni Verlag

Freitag, 15. März 2013

Messegespräche (1). Olivenöl Extra.

Annabelle Chanson, A. C. Dacon, oder wie war das noch mit den ulkigen Pseudonymen??

 
Jedes Jahr das gleiche Spiel: Eigentlich habe ich keine Lust, mich in dieses Messegetümmel zu stürzen, all die Büchermassen zu sehen, das frustriert mich jedes Mal aufs Neue, weil ich mir vorstelle, wie viele Leser es bräuchte, dass sie alle gekauft, gelesen, gewürdigt würden, und dazu kommt die Furcht, dass ich darin verschwinden könnte mit meinen Werken, dass ich unterginge in diesem gigantischen Bücher-Mehr, das sich speist aus einem endlosen Strom gedruckter Wörter, die neuerdings auch noch in allen möglichen Formen digital verwurstet werden. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht hoffnungslos altmodisch: Das wunderbare Gefühl, in einem Buch zu blättern, es zu tasten, zu riechen, kann mir der hippste eReader nicht ersetzen. Das Problem ist: meinen Kindern schon. Bücher lesen ist dem Jungvolk von heute zu anstrengend. Und ich befürchte, das ist erst der Anfang. Meine Enkel werden meine sorgsam aufgebaute, geliebte Bibliothek dereinst womöglich zur Dämmung zwischen den Dachsparren einsetzen. Und ich degeneriere zur dementen Omi, die weiterhin stur mit der Kutsche reist in Zeiten von Flugzeug und ICE.
 
Sei`s drum. Ich war ja nur sekundär als Leserin auf der Messe, und primär: als gefragte Produzentin von angesagtem Content; auf Altdeutsch: Die erfolgreiche Autorin beehrt sich! Lächelt. Schreibt Fans geduldig die immer gleichen Sprüche in die Bücher, lächelt noch mehr, freut sich über Lob und ehrfurchtsvolle Blicke, über Lesegetreue seit Band eins, über Bücherwürmer, die ihre vergilbten HC-Ausgaben aus der Tüte kramen und mit leuchtenden Augen fragen: "Könnten Sie bitte Für Annika, eine begeisterte Leserin, dazuschreiben? Mit doppel-N, bitte?"
 
Und für Eva und Alex und Silvia und Cornelia und Susanne … die Star-Autorin macht das natürlich gern, sie fühlt sich gehuldigt, kurz vor der Verleihung des Messestand-Nobelpreises sozusagen. Das geht runter wie ein Löffelchen Natives Olivenöl Extra! Und Kaffee gibt’s, und O-Saft und statt Mittagessen wegen der vielen Termine einen Apfel und wie immer viel zu viel Konferenzgebäck.
Meine Lektorin strahlt, die Reporter schreiben brav auf, was ich sage, und die Fotografen fotografieren mich, vor, ach: diese Bücherwand! Vergessen ist die schlechte Laune ob der Farbkomposition und des einfallslosen Titels! Vergessen, dass ich kein Lila mag und Rosa seit Kindheitstagen hasse; diesem geschätzten zwei auf drei Meter Höhemalbreite-Argument kann man sich nicht entziehen! Die Leute bleiben stehen und staunen, murmeln, schauen zu mir, murmeln wieder, gehen andächtig weiter. Womöglich haben die Marketingfuzzis doch recht, ein bisschen zumindest, sei`s drum: ES IST BEEINDRUCKEND! MEINE Bücher! Annabelle Chanson schwebt durch die Hallen, wird erkannt, grüßt, schüttelt Hände, lächelt, lacht, signiert auf dem Gang, lächelt mehr, macht Smalltalk, VIP für Messe-Gänger, drei Minuten, weiter geht`s.

Geplant zufälliges Vorbeischlendern am Kitty-Stand: Jetzt hüpft das Herz von A. C. Dacon, auch hier erheben sich die richtigen Bücherberge über der anderen Bücherseen: Gleich drei Kitty-Morde werden präsentiert, wenn auch insgesamt zwei Nummern kleiner als bei Annabelle Chanson. A.C. Dacon gönnt es der Kollegin, und das Öl flutscht nur so. Zurück am Stand, Info von der noch immer strahlenden Lektorin: Es sind weitere Lizenzen der Leidenschaften verkauft. Niederlande, Belgien, Japan auch. Und Gespräche mit den USA laufen. MIT DEN USA!!! Eine Mitarbeiterin, seufzend: „Ihr neuer Roman steht auf der Hitliste der geklauten Werke ganz oben.“
Wenn das nicht Flügel verleiht?
 
 
(c) Thoni Verlag
Fortsetzung folgt ...

Mittwoch, 13. März 2013

Der Klappe den Garaus

Himmel, auch: Mein Briefkasten ist kaputt! Das schöne Stück von Erbtante Rosie, Gott hab sie selig, mit der besonders praktischen großen Klappe! Was hat die alles geschluckt: die Tageszeitung und mein Sportmagazin, Werbepost und Rechnungsstapel, Versandhauskataloge und Gewinnbenachrichtigungen, ach ja, und jahrelang die lustigen Briefe von Hans, dem Schelm und die herzlichen von Hanna, meiner Brieffreundin von Norderney, die gern mal ein bisschen norddeutsche Atmosphäre schickte, also Strandsand, algengrüne Steine und selbstgeernteten Samen aus ihrem Garten in gepolsterten Umschlägen. Einfach aussäen, mein Lieber. Das ging alles problemlos rein in meinen prima Briefkasten! Dann kam das Internet, und Hans ging online und Hannachen, in memoriam, für immer offline, und meine hübsche Klappe fing über die Jahre wegen Arbeitsmangel ein bisschen zu quietschen und zu rosten an, aber sie hat weiter klaglos ihre Dienste getan, und jetzt das: unreparabel rausgebrochen! Wehrlos ausgeliefert roher Gewalt! Die Briefträger sind auch nicht mehr das, was sie mal waren: Brutal hineingestopft hat der gute Mann diesen dicken braunen Umschlag, der meiner Klappe den Garaus machte. Was da wohl drin ist?

Lieber Herr Verleger,
meinen Sie nicht, dass es ein überaus dummes Konzept ist, einen Verlag zu gründen, in dem keine Manuskripte verlegt werden? Das ist ja wie ein Buchladen, in dem es keine Bücher zu kaufen gibt …

Ich erlaube mir die Anmerkung: In so manchem multimedialen Büchertempel muss man tatsächlich recht lange suchen, um Bücher zu entdecken … und außerdem: Berti findet mein Konzept genial, er würde es gern analogmäßig übernehmen, müsste er nicht jeden Monat für seinen Buchladen die Miete überweisen … aber weiter:

Sehr verehrter, lieber Herr Verleger,
ich möchte Ihnen gleichwohl schreiben, denn ich habe ein Manuskript verfasst, das Sie unweigerlich in Ihren Bann ziehen wird! Egal, welches Verlagsprogramm Sie auch immer haben oder nicht haben: An DIESEM Werk kommen Sie nicht vorbei. Das ist das Buch, auf das die Menschheit seit dem Krieg gewartet hat, und Sie sind auserkoren, es zu veröffentlichen! Ich schicke Ihnen die ersten tausend Seiten (LESEPROBE) der auf vierzehn Teile angelegten Saga gleich mit, und ich bin sicher, die Lektüre wird für Sie ein unvergessliches Erlebnis sein. Das, was ich geschrieben habe, ist ohne Untertreibung supermegawunderbar, sogar Tante Erna ist meiner Meinung und das ist sie sonst nie, und meine Mutti in der Seniorenresidenz, die hat sogar geweint beim Lesen vor Rührung. Sie hat nämlich jetzt eine neue Brille und kann wieder supigut sehen. Trotzdem sollten Sie vielleicht bei der Veröffentlichung erwägen, die Schriftgröße nicht ganz so klein zu machen. Meine beste platonische Freundin, die Almut im Allgäu, mag meine Geschichte übrigens auch. Wie aus dem richtigen Leben gegriffen, sagt sie. Und dass ich das wirklich fertiggekriegt habe! Alle Achtung, das hätte sie mir gar nicht zugetraut. Kann ich mit dem Erscheinen meines Werkes zur diesjährigen Buchmesse in Frankfurt rechnen?


Woher weiß der bitteschön, dass ich einen Verlag gegründet habe, wo doch nicht mal was davon in der Zeitung stand? Was soll ich jetzt machen? Na gut. Höflicherweise ein bisschen lesen, immerhin hat sich da doch jemand jede Menge Arbeit gemacht. Hm. Ich hatte ein Ausreichend in Deutsch und finde acht Fehler auf der ersten Seite. Auf der zehnten wird immer noch die Straße beschrieben, auf der die verlorene Tochter nach langen Jahren sich erinnernd reumütig heimkehrt. Ich fange an, an der Qualität von Muttis Brille und Tante Ernas Charakter zu zweifeln. Aber ich beruhige mein schlechtes Gewissen: Ich muss ja nicht weiterlesen, das Werk passt nun mal definitiv nicht in mein Verlagsprogramm. Ich setz mich also hin, grüble ein bisschen und schreibe eine, wie ich finde, überaus wohlwollende Absage. Ein Blick zur Uhr: Das wird eng mit Berti und dem Bier heute Abend.

Werter Herr Autor,
es ehrt mich sehr, dass Sie Ihr wertvolles Buchprojekt meinem bescheidenen Verlagshaus anvertrauen möchten. Ihre Geschichte ist originell erzählt, und bitte verstehen Sie es nicht als Kritik an Inhalt oder Stil, aber Manuskripte passen nun mal überhaupt nicht in unser Verlagsprogramm. Ich bedaure das sehr. Zur Entlastung schicke ich Ihre Unterlagen zurück. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie vielleicht bei einem anderen Verlag mehr Erfolg haben und wünsche Ihnen für Ihre weitere Autorentätigkeit alles Gute.


Mit freundlichen Grüßen
Ihr VERLEGER.


NACHTRAG:

Ich hab das gleich zusammen mit dem Manuskript zur Post gebracht. Uff! Päckchen-Porto!! Und später ist mir eingefallen: Wie gut, dass ich keinen Verleger unter meinen Freunden habe. Der würde mich für den letzten Satz womöglich köpfen.
 
(aus den Tagebüchern des Verlegers, Fortsetzung folgt ...)
(c) Thoni Verlag, mit freundlicher Genehmigung

Dienstag, 12. März 2013

Der saugemütliche Ohrensessel & dicke Schmöker

Eine Hommage an altmodische Buchläden mit saugemütlichen Ohrensesseln. Für Leute, die Geschichten und dicke Schmöker lieben. Und sich ein bisschen Zeit fürs Lesen gönnen. Immer noch. Auch online.

Frankfurt am Main, in jenem September ...


Werte Besucher!

Eigentlich sollte an dieser Stelle eine journalistisch veredelte Mitteilung als Antwort auf die Frage platziert werden, wie und warum es zur Gründung des Thoni Verlags kam. Das Problem: Ein Reporter mit dem nomen est omen Rudi Ratlos von der örtlichen Tageszeitung NNB (Neues Nachrichtenblatt) hat das Interview mit dem Verleger versaubeutelt. Und jetzt erscheint nix in der Presse, und wäre der Chronist nicht zufällig in Hörweite des Geschehens gewesen, wäre dieses überaus wichtige Ereignis der Menschheit wohl für immer verborgen geblieben.

DAS INTERVIEW.

FRAGE NNB: Sie haben jüngst den Thoni-Verlag gegründet ...

DER VERLEGER: Gegründet ist gut. Ich bin zum Gewerbeamt, hab ein Formular ausgefüllt und 15 Euronen auf den Tisch geblättert. Das war`s.

NNB: Und warum haben Sie das getan?

DER VERLEGER: Ich hatte 15 Euro übrig.

NNB: Ich nehme Sie ernst. Sie sollten mich auch ernstnehmen.

DER VERLEGER: Das ist ein verdammt ernstes Geschäft, ja. Also: Ich habe einen Verlag gegründet, weil ich keine Bücher verlegen will.

NNB: Häh?

DER VERLEGER: Thoni - der Verlag ohne Bücher. Das ist mein verlegerisches Selbstverständnis. Eine Herausforderung. Meine Philosophie. Ich werde das kontinuierlich entwickeln und ausbauen.

NNB: Sie wollen mich verscheißern, oder?

DER VERLEGER: Na, das ist jetzt aber off records, mein Lieber, hm? Aber um bei Ihrer Formulierung zu bleiben: Verscheißert fühle ich mich! Oder besser gesagt, mein Freund Bertram Buchmann, der heißt nämlich nicht nur so, sondern ist tatsächlich Buchhändler. Der hat den kleinen Laden vorn an der Ecke. Vielleicht waren Sie schon mal drin? Nein? Sei`s drum. Berti wird jedenfalls mindestens zweimal pro Jahr von Büchertsunamis heimgesucht, und dann muss er sie irgendwohin stapeln, diese wogenden Massen aus kreischbunter Pappe und Papier, aber im tiefsten Inneren seiner Buchhändlerseele mag er keine kreischbunten Bücherstapel, vor allem, wenn der Inhalt einen Monat lang hipp, und im nächsten schon wieder hopp ist. Da muss er nämlich ständig umräumen. Und dann schwitzt er und kriegt Pickel. Und das juckt und sieht doof aus. Und da hab ich zu ihm gesagt, Berti, hab ich gesagt, meckern kann jeder! Aber ich bin dein Freund, ich helf dir. Und was soll ich sagen? Berti findet mein Verlagsprogramm klasse! Da muss er nämlich null Minuten überlegen, auf welchen Stapel er die Neuerscheinungen legen soll, und jetzt hat er endlich mal wieder Zeit, mit mir ein Bier trinken zu gehen.

NNB: Und warum, in drei Teufels Namen, müssen Sie dafür einen Verlag gründen?

DER VERLEGER: Ich hatte 15 Euro übrig.

NNB: (läuft schreiend davon) Diesen Quark druckt mir doch keiner! Nicht mal online!

DER VERLEGER: (grinst) Der ist neugierig. Der kommt wieder. Wetten?
 
 
(c) Thoni Verlag
 Fortsetzung folgt ...
 
 

Freitag, 1. März 2013

Poesie in Farbe

Ich musste gerade grinsen, als ich den letzten Kommentar las: Tja, die "Hurenkinder" & "Schusterjungen": Für alle, die es NICHT wissen, das sind alleine stehende Zeilen am Anfang oder am Ende einer Buchseite und wer ein Buch professionell setzt, sollte sie tunlichst vermeiden. Ich sag mal so: Die Mädels und Bürschchen sind zuweilen penetrant ...
 
Bei den "Singenden Vögeln", der vierten Ecke im neuen Printquartett meines Verlags, hatte ich damit allerdings weniger Probleme; die "poetischen Gedanken über das Leben" nehmen nur einen kleinen Teil der Buchseiten ein - es ist das erste farbige Buch aus meinem Verlag: eine Geschenkausgabe der bislang nur als eBook erschienenen "HandyPoesie". Die Verbindung von Worten und Bildern ist ja ohnehin ein Faible von mir - für die "Singenden Vögel" habe ich Motive aus Tausenden von Fotos ausgewählt, die ich im Laufe der vergangenen Jahre in meinem Garten aufgenommen habe.
 
Update:
Ja, Lesen im Quadrat macht Freude!




Wer neugierig ist: Auf der Bücherseite in meinem Verlag habe ich eine Lese- und "Schauprobe" eingestellt.

www.thoni-verlag.com