Samstag, 16. März 2013

Messegespräche (2). Wir alten Deppen!

Seit Jahr und Tag gehört es zu Bertis und meinen Gewohnheiten, am Samstag über die Buchmesse zu bummeln. Mindestens drei Bier-Abende bereiten wir uns auf diesen Tag vor, denn es gibt jede Menge zu erzählen, will heißen: Berti erklärt mir, welche Bücher wir uns anschauen sollten, welche Verlage wir besuchen müssten, und ich höre zu und freue mich, Berti glücklich zu sehen. Auch dieses Jahr war das nicht anders, wir waren gespannt auf das, was es zu entdecken gäbe, auf das Unverhoffte, Zufällige, und am Freitagabend gestand ich, dass ich einen Teil des Tages schon verplant und mit einem angehenden Autor einen Termin abgemacht hätte. Berti war erstaunt, aber neugierig. Das war ich allerdings auch.
 
Ein Höhepunkt, das stand fest, würde wie in den vergangenen Jahren der Besuch der Antiquariatsmesse sein, jener exklusive Bereich, in dem die alten Bücher Geschichten und Geschichte erzählen, eindringlich unaufdringlich. Sie flüstern hinter Glas und aus Holzregalen, und obwohl es ja nicht möglich ist, meine ich ihren Atem zu riechen, diese sentimental machende Mischung aus Muff und vergilbtem Papier, die einem entgegenströmt, wenn man ein sehr altes Buch aufschlägt. Es war, als legte jemand einen Schalter um, und plötzlich ist man in einer anderen Zeit gelandet, so ähnlich, wie es mir immer geht, wenn ich, was leider nur noch selten vorkommt, dieses unnachahmliche Potpourri aus Leder, Kleber und Schuhcreme rieche, das mich an den alten Schuster erinnert, der früher hier im Viertel seine Werkstatt hatte, mit all diesen geheimnisvollen Werkzeugen darin und deckenhohen Regalen voller verstaubter Treter, die aussahen, als stünden sie schon Jahrzehnte dort. Aber dieses Jahr war alles anders.

Die erste Enttäuschung bereitete uns Herr Hundekötter. Man soll ja keine Vorurteile haben, aber er sah nicht nur genau so aus, wie man sich einen Menschen mit diesem Namen vorstellt, der zu allem Unglück auch noch Versicherungsvertreter ist, wie er uns wortreich erklärte, sondern er redete auch so. Zum Glück hatte er wenigstens genügend Anstand, uns keine seiner vorzugsweise vertriebenen Policen gegen Erdbeben und Glasbruch aufzuschwätzen.

Ich hatte gedacht, wir tränken irgendwo gemütlich einen Kaffee, gingen dann vielleicht zusammen zu einer Lesung. Aber Zuhören war nicht Herrn Hundekötters Thema. Ein Buchhändler und ein Verleger! Ich hatte das Gefühl, der glaubte, mit uns im Lotto gewonnen zu haben. Er hörte nicht auf zu berichten und zu klagen, über seinen wunderbaren Roman, über sein aufopferungsvolles jahrelanges Schreiben und sein verzweifeltes Bemühen, als Autor Fuß zu fassen, über all die ignoranten Verlage, die sein Talent und sein epochales Werk verkannten, und die nicht minder ignoranten Buchhändler, die sich weigerten, sein Erstlingswerk ins Regal zu stellen, ein schmaler, lieblos editierter Gedichtband, den er stolz aus seiner Aktentasche zog, bei dem – ein Anlesen genügte – der Inhalt der Aufmachung entsprach. Begeistert sei sein Verlag gewesen, nachgerade hingerissen von dieser sprachlichen Urgewalt! Und immer noch werde das Werk neu aufgelegt, obwohl es schon Jahre alt sei. Und das auch noch zum Schnäppchenpreis! Leider, leider, sei es ihm nicht möglich, seinen großen Roman ebenfalls in diesem wunderbaren Verlag zu verlegen, weil es finanziell für ihn nicht leistbar sei. Ich wagte den Einwand, dass es nach meiner Auffassung Aufgabe eines Verlegers sei, Bücher nicht nur zu publizieren, sondern auch zu finanzieren. Herr Hundekötter widersprach vehement, und außerdem: Behauptete ich nicht auch, Verleger zu sein? Dabei hätte ich nicht mal ein einziges Buch im Programm, aber er könne sich eine Zusammenarbeit wirklich wunderbar vorstellen und käme mir auch gern mit dem Preis entgegen. Ich sah ein, dass es besser war, das Thema zu beenden.

Und Berti? Machte gute Miene zum geschwätzigen Spiel, nippte an seinem Kaffee, nickte ab und zu und sagte hm. Nach zwei Milchkaffee, einem Espresso und einer guten Stunde Vortrag über die Saga derer von Hundekötter, angefangen im Mittelalter bis kurz vor der Jahrtausendwende, verlor er dann doch ein bisschen die Geduld. Er schaute Herrn H. mit dem typischen Berti-Blick an und fragte freundlich: „Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?“ Kurze Pause. Nicken. „Wann haben Sie zuletzt ein Buch gelesen, Herr Hundekötter?“

Ich erwartete eine ausschweifende Rechtfertigung, aber Berti schaffte es mal wieder: Der Herr Autor setzte an, etwas zu sagen, überlegte es sich anders, grummelte irgendwas von keine Zeit mehr, und wichtige Termine, trank den kalten Kaffee aus, nahm sein Manuskriptpaket, und weg war er.
„Du hättest die Frage eine Stunde früher stellen sollen“, sagte ich.
Berti lächelte. „Ich glaube, früher hätte sie nicht gewirkt.“

Froh, nicht mehr reden zu müssen, schlenderten wir durch die Hallen, vorbei an blutigem Gemetzel und zähnefletschenden Vampiren, wir passierten Galerien historischer Frauenporträts ohne Porträt und Sonnenuntergänge mit Wegen und Wasser und Wehmut von Down Under bis Cornwall; es gab jede Menge kitschiges Alpenaccessoire und Dorfambiente neben nicht minder häufigem grusligem Grausen; und drei Gänge weiter die Histo-Schmonzetten, eine ganze Wand in Rosa-Lila.

Waren die Bücher im vergangenen Jahr auch so aufdringlich bunt? So austauschbar in Titel und Texten? Alles um uns herum schien zu schreien: Verstörend! Berührend! Hochspannend! Tiefgründig! Der absolute Lesegenuss! Der super Thriller! Ich stellte mir vor, dass am Abend vor der Messe-Eröffnung eine ganze Kompanie Werbefuzzis Dutzende Wägelchen mit Slogans und Säcken voller Ausrufezeichen beladen hatten, durch alle Hallen gezogen waren und den Inhalt ziel- und planlos auf Wände, Plakate und Ankündigungstafeln geworfen hatten. Und zwischen all diesem Wörter-Gewusel gab es Kochbuchköche, die ihre Leser live becookten, und spirituelle Teebuchautoren zeremonierten spirituelle Tee-Zeremonien, und wir querten Super-Locations und Mega-Events und ein Zentrum für Story Drive und Cross-Media und Hot-Spots und, ach, Content fanden wir auch, verschämterweise nur auf Englisch.

Aber hatte es all das im vergangenen Jahr nicht auch schon irgendwie gegeben? Warum fiel es uns ausgerechnet dieses Mal so übel auf? Weil die Bücher nicht mehr nur mit Farben brüllten, sondern auch noch anfingen zu flattern, zu flimmern und zu knattern? Books and Games, Brot und Spiele. Digital ist überall.
Und Berti guckt mich mit der strengen Variante seines Buchhändlerblickes an und sagt: „Es gibt gute und schlechte Bücher, und es gibt Druckwerke, die wie Bücher aussehen. Letztere sollte man nicht dadurch adeln, dass man über sie spricht.“

Wir verließen den Marktplatz der Schreier, folgten weniger frequentierten Gängen, studierten Bücher von Verlagen, an deren Stand nicht mal Platz für einen Tisch mit Kaffeetassen und Keksen blieb. Wir trafen Bücherleute, weniger als im vergangenen Jahr, ein kleiner Verlag, zu dem Berti unbedingt wollte, hatte kurzfristig abgesagt, die Koje war leer. Ein trostloser Anblick. Berti blieb irgendwann stehen, schaute sich um, breitete die Arme aus, und sagte: „Gibt es ein besseres Argument für die Abschaffung des Gedruckten als das hier?“
Zwei Damen lächelten und nickten, und wir lachten los und ernteten empörte Blicke. Zurecht. Wir alten Deppen! Und dann gingen wir zu den alten Büchern, und es war himmlisch.

(c) Thoni Verlag

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